Der verlorene Faden: Wie Lesothos Goldene Wolle zum geopolitischen Spielball wurde – Eine afrikanische Perspektive
Teilen
Der Fall der Woll- und Mohair-Industrie Lesothos, der 2018 durch eine radikale Marktveränderung ausgelöst wurde, liefert eine scharfe Analyse der Herausforderungen, denen sich afrikanische Staaten in ihren Bemühungen um wirtschaftliche Souveränität und lokale Wertschöpfung gegenübersehen. Das sogenannte „Basotho-Wolldebakel“, bei dem ein faktisches Monopol einem einzigen chinesischen Unternehmen zugesprochen wurde, entlarvt die Risiken hastiger, unkonsultierter Politikgestaltung, die Anfälligkeit für Policy Capture und die komplexen, oft extraktiven Dynamiken, die Chinas wachsende wirtschaftliche Präsenz in Afrika begleiten können.
Die Berge, die Hirten und die Wolle: Lesothos wirtschaftliches Rückgrat
Das Königreich Lesotho, eingebettet in die Drakensberge Südafrikas, stützt seine ländliche Wirtschaft traditionell auf die Zucht von Merinoschafen und Angoraziegen. Diese Tiere liefern hochwertige Wolle und Mohair – eine fein glänzende Faser, die auf dem Weltmarkt geschätzt wird. Die fundamentale Bedeutung dieser Rohstoffe ist in den nationalen Statistiken klar ersichtlich: Der Sektor verantwortet etwa 60 Prozent der landwirtschaftlichen Exporte und dient als Lebensgrundlage für mehr als 25 Prozent der gesamten ländlichen Bevölkerung. Historisch gesehen hat Lesotho eine herausragende Stellung als zweitgrößter Mohair-Produzent der Welt, was die internationale Relevanz des Königreichs im Fasermarkt unterstreicht. Die Verkäufe der Vliese stellen seit über 80 Jahren die größte im Inland generierte Einnahmequelle Lesothos dar.
Über Jahrzehnte hinweg war die Vermarktung dieses nationalen Reichtums jedoch untrennbar mit dem Nachbarland Südafrika verbunden. Ein etabliertes Netzwerk transportierte die Rohstoffe zu Brokern wie BKB (Pty) Ltd und OVK in Südafrika, wo sie, meist in Port Elizabeth, auf dem internationalen Markt versteigert wurden. Dieses System bot den Basotho-Bauern zwar einen zuverlässigen Marktzugang und unterstützende Dienstleistungen (wie Zuchthilfe, Kredite und Tiermedizin), verhinderte aber gleichzeitig jegliche lokale Veredelung und ließ die Gewinne in der regionalen Wertschöpfungskette außerhalb Lesothos verbleiben. Der Wunsch der Regierung Lesothos, die volle Kontrolle über diesen kritischen Sektor zu erlangen und die Einnahmen im Land zu maximieren, war daher ökonomisch rational und notwendig.
Die zentrale Argumentation dieser Analyse lautet: Der Versuch der Lokalisierung – ökonomisch notwendig – führte durch gravierendes Governance-Versagen zur Etablierung eines faktischen Monopols. Dieses Monopol diente nicht der Steigerung der nationalen Souveränität oder dem Wohl der Nation, sondern einem einzigen, intransparenten Akteur mit ausländischer Verbindung. Die politischen und sozialen Folgen waren katastrophal: Sie destabilisierten Tausende von Existenzen, führten zu weitverbreiteter Verarmung und entlarvten die Risiken opportunistischer Policy Capture innerhalb der chinesisch-afrikanischen Handelsdynamik.
Teil I: Anatomie einer Fehlgeleiteten Reform: Die Entstehung des Monopols
Die Logik des Bruchs: Der Weg zur erzwungenen Lokalisierung
Die Regierung Lesothos unternahm 2018 Schritte zur Nationalisierung und Lokalisierung der Industrie. Diese Bestrebungen basierten auf der Überzeugung, dass die traditionelle Struktur, in der südafrikanische Zwischenhändler die Landwirte um den vollen Wert ihrer Produkte brachten, ineffizient und ungerecht war. Die formulierten Ziele der Agricultural Marketing (Wool and Mohair Licensing) Regulations, 2018 waren ehrgeizig und auf nationale Entwicklung ausgerichtet: Sie sollten die Einkommen der Farmer signifikant steigern, die nationalen Steuereinnahmen erhöhen und die Förderung lokaler Verarbeitungs- und Veredelungsaktivitäten vorantreiben. Dies sollte auch durch die Reduktion von Transportkosten für die Bauern erreicht werden, da der Handel nun lokal stattfinden sollte.
Der Weg zur Umsetzung dieser Ziele war jedoch abrupt und diktatorisch. Die Verordnungen, die im Mai 2018 in Kraft traten, schufen einen juristischen Mechanismus, der den Handel fundamental umstrukturierte: Sie machten es zur Auflage, dass Wolle und Mohair zwingend innerhalb Lesothos verkauft und versteigert werden mussten. Weiterhin wurde der Export der Rohfasern in frühen Marketingphasen verboten. Gleichzeitig wurden die Kriterien für die Erteilung von Broker-Lizenzen derart restriktiv gestaltet, dass sie faktisch den Ausschluss der über Jahrzehnte etablierten südafrikanischen Akteure wie BKB und OVK zur Folge hatten. Die südafrikanischen Firmen erhielten keine Lizenzen zur Weiterführung ihrer Geschäfte in Lesotho.
Dieses Vorgehen demonstriert die Gefahr eines institutionellen Vakuums. Der plötzliche Abbruch der über 44-jährigen, tief integrierten Beziehungen zu südafrikanischen Brokern beseitigte nicht nur einen Vertriebskanal, sondern auch die gesamte verlässliche, integrierte Wertschöpfungs- und Unterstützungskette, die die Bauern über Generationen kannten. Diese Kette umfasste wesentliche Dienstleistungen wie die Bereitstellung von Krediten, Tiermedizin, besserem Zuchtmaterial und Logistik. Die Regierung von Lesotho ignorierte die Warnungen, dass diese weitreichenden Reformen ohne jegliche sinnvolle Konsultation der Bauern selbst und der regionalen Partner (Südafrika) durchgeführt wurden und die komplexen, inter-sektoralen Verflechtungen missachteten. Das Governance-Versagen lag somit nicht in der Vision der Lokalisierung, sondern in der mangelnden Fähigkeit des Staates, diesen abrupten Verlust durch eigene, robuste und vor allem verlässliche Institutionen und Infrastruktur aufzufangen.
Der Aufstieg des Monopolisten: Stone Shi und das Lesotho Wool Centre (LWC)
In dem durch die neuen Gesetze geschaffenen regulatorischen Vakuum trat ein exklusiver Akteur auf den Plan: der chinesische Geschäftsmann Stone Shi, Eigentümer der Maseru Dawning Trading (Pty) LTD. Shi war der einzige Akteur, dem nach der Einführung des Gesetzes von 2018 eine Maklerlizenz erteilt wurde, wodurch er ein De-facto-Monopol auf den gesamten nationalen Woll- und Mohairhandel Lesothos innehatte.
Shi errichtete in einem Joint Venture mit der Lesotho National Wool and Mohair Growers' Association (LNWMGA) das Lesotho Wool Centre (LWC) in Thaba-Bosiu, das als ausschließlicher Versteigerungsort dienen sollte. Shi behauptete, M37 Millionen Maloti zum Bau des umstrittenen Zentrums beigetragen zu haben, während die LNWMGA lediglich M4 Millionen beisteuerte. Diese Struktur des LWC, die den nationalen Interessen dienen sollte, geriet schnell ins Wanken. Die LNWMGA klagte später gegen Stone Shi, weil er die Bedingungen des Joint Ventures nicht erfüllt hatte. Die Vorwürfe besagten, dass Maseru Dawning es versäumt hatte, einen gemeinsamen Geschäftsplan, ein Betriebsschema sowie Finanzierungs-, Rückzahlungs- und Schulungsprogramme zu entwickeln, wie im Abkommen vorgesehen.
Die Policy Capture, also die Instrumentalisierung der Gesetzgebung zugunsten privater Akteure, manifestierte sich hier mit erschreckender Klarheit. Der Versuch der "Lokalisierung" endete nicht mit der nationalen Kontrolle, sondern mit der Ersetzung einer regionalen Abhängigkeit (Südafrika) durch eine neue, intransparente und regierungsgeförderte Abhängigkeit von einem einzigen chinesischen Broker. Die Tatsache, dass die Bauernvereinigung selbst juristisch gegen den Monopolisten vorgehen musste, deutet darauf hin, dass die Gesetze nicht für das allgemeine öffentliche Wohl, sondern für die privaten Interessen des Monopolisten und seiner politischen Verbündeten geschrieben wurden. Die Vorwürfe, Shi habe die Lokalisierung der Verarbeitung erzwungen , und die darauf folgenden massiven Zahlungsausfälle bei den Bauern, deuten auf ein Modell der Extraktion hin, nicht der Entwicklung.
Obwohl die Wollkrise selbst kein direktes Vorzeigeprojekt der chinesischen Belt and Road Initiative (BRI) war, steht sie im Kontext der breiteren chinesisch-afrikanischen Wirtschaftsbeziehungen, in denen chinesische staatliche und private Akteure aufgrund ihres finanziellen und technischen Vorsprungs oft strategische Marktpositionen gewinnen. Der Fall Lesotho demonstrierte, wie ein externes Interesse durch die Ausnutzung interner politischer Lücken die Kontrolle über strategisch wichtige Wertschöpfungsketten erlangen kann.
Der Systemwechsel im Markt Lesothos vollzog sich in kürzester Zeit und mit dramatischen Konsequenzen für die Landwirte:
Systemwechsel im Lesotho Wool and Mohair Markt (2017–2019)
| Merkmal | Vor-2018 (Südafrika-zentriert) | 2018 Monopol (LWC/Stone Shi) | Implikation für Basotho-Bauern |
| Verkaufsort | Port Elizabeth, Südafrika (Internationaler Markt) |
Thaba-Bosiu, Lesotho (Erzwungene Lokalisierung) |
Verlust des Zugangs zu transparenten Weltmarktpreisen |
| Lizenzierte Broker | BKB, OVK (Wettbewerb) |
Maseru Dawning (Faktisches Monopol) |
Keine Preisverhandlungsmacht; Risiko von Missmanagement |
| Zahlungszuverlässigkeit |
Hoch (44 Jahre lang etabliert) |
Massiv verzögert oder ausstehend |
Existenzvernichtend |
| Preisänderung | Marktpreis (Hoch in 2017/18) |
Gemeldeter Preisrückgang von 18.9% |
Direkte Einkommenseinbußen, Armut |
Teil II: Die Krise der Existenzgrundlage und der politische Aufschrei
Die Wut der Hirten: Wenn das Monopol zur Verarmung führt
Die Einführung der neuen Monopolstruktur führte nicht zu der versprochenen Steigerung des nationalen Wohlstands, sondern zu einem ökonomischen Niedergang für die Bauern. Die Preise für Mohair sanken Berichten zufolge nach der Reform um 18,9 Prozent, da die gesamte Ernte anscheinend an einen einzigen Käufer verkauft wurde. Tausende von Landwirten erlebten massive und monatelange Zahlungsverzögerungen oder totale Ausfälle für die Wolle, die sie an das LWC geliefert hatten. Bauern aus Mokhotlong berichteten, dass sie ihre Wolle an das LWC lieferten, nachdem Shi ihnen versprochen hatte, sie in US-Dollar auszuzahlen, was sie als besseres Geschäft als den Verkauf an SA-Broker ansahen – ein Versprechen, das gebrochen wurde.
Die finanziellen Einbußen waren existenzbedrohend. Eine Analyse zeigte, dass Landwirte aufgrund der Verzögerungen bei der Bezahlung durch die Inflation zwischen 0,4 Prozent und 5,2 Prozent ihrer durchschnittlichen Nettoeinnahmen verloren. Das Problem ging jedoch über den reinen Preisverfall hinaus. Durch die verspäteten Zahlungen und den Mangel an Bargeld waren die Bauern nicht mehr in der Lage, lebenswichtige Anschaffungen zu tätigen, insbesondere Tiermedizin und Futter. Es wurde festgestellt, dass die verzögerte Zahlung negative Auswirkungen auf die Existenzgrundlagen hatte, da es den Schaf- und Ziegenzüchtern erschwert wurde, Medikamente zu kaufen.
Die Krise des Sektors hatte kaskadenartige Auswirkungen auf die gesamte ländliche Wirtschaft. Die Unterbrechung der Wertschöpfungskette führte dazu, dass Scherer, Hirten, Transportunternehmer und lokale Händler ihre Arbeitsplätze und Einnahmen verloren. Ein parlamentarischer Bericht stellte später fest, dass Tausende von Basotho durch die Vorschriften „verarmt, mittellos und hoffnungslos“ wurden.
Die Anschuldigungen des Missbrauchs vertieften die Krise des Vertrauens. Die Zentralbank von Lesotho berichtete vor einem Ad-hoc-Ausschuss des Parlaments, dass Stone Shis Firma Maseru Dawning Trading gegen die Lizenzbestimmungen verstoßen hatte, indem sie „Wolle der Bauern gegen Maschinen tauschte“. Dieser gemeldete Tausch von Rohstoffen gegen Sachwerte statt Bargeld unterstreicht eine tiefgreifende Missachtung der finanziellen Rechte der Bauern und die Ausnutzung der Monopolstellung, um die üblichen und notwendigen transparenten Finanzmechanismen zu umgehen. Die Regierung versprach erhöhte Einnahmen, lieferte aber Armut. Der politische Aufschrei, symbolisiert durch Parolen wie „Thabane stop killing poor Basotho“ , war die direkte Folge der Verletzung des fundamentalen sozialen Vertrags, in dem der Staat die Existenzgrundlagen seiner Bürger zu schützen hat.
Geopolitische Resonanzen und institutionelles Versagen
Die Krise löste einen massiven politischen Aufschrei aus. Etwa 30.000 betroffene Bauernmarschierten im Juni 2019 in Maseru, um die sofortige Aufhebung der Verordnung zu fordern. Die Mitglieder der National Wool and Mohair Growers Association (LNWMGA) weigerten sich, ihre Produkte an den chinesischen Broker zu verkaufen, wobei ihr Vorsitzender erklärte: „Wir werden unsere Wolle und unser Mohair nicht an die Chinesen verkaufen, wir werden es lieber verbrennen“.
Trotz des weit verbreiteten Widerstands, der sogar von Oppositionsmitgliedern und dem Bruder des Königs unterstützt wurde, verlor die Bauernvereinigung ihre anfänglichen rechtlichen Anfechtungen der neuen Verordnungen vor dem High Court und dem Court of Appeals. Dies verstärkte das Gefühl der politischen Hilflosigkeit und des Verrats bei den ländlichen Gemeinschaften. Die Angelegenheit führte zu einer derart tiefen Politisierung, dass die Debatte im Parlament von Lesotho in Chaos und physische Auseinandersetzungen zwischen Abgeordneten mündete, als ein Gesetzentwurf zur formellen Aufhebung der Regulierung nicht zur Abstimmung gebracht werden konnte.
International wurde der Fall Lesotho zu einem Präzedenzfall. Die Kontroverse diente als erhebliche Munition in der breiteren Debatte über Chinas Rolle in Afrika, in der Kritiker dem asiatischen Riesen vorwerfen, Märkte zu dominieren, die lokale Souveränität zu untergraben und undurchsichtige Geschäfte zu fördern. Während in diesem spezifischen Fall keine direkten „Schuldenfallen“ die Ursache waren, nährte die Krise die allgemeinen Bedenken hinsichtlich der mangelnden Transparenz und Rechenschaftspflicht im Rahmen chinesischer Großprojekte und Investitionen auf dem Kontinent.
Die grundlegende Schlussfolgerung aus dieser geopolitischen Resonanz ist, dass die Krise nicht primär ein unvermeidbares Ergebnis des chinesischen Engagements war, sondern des Versagens der nationalen Governance Lesothos. Durch die hastige und undurchsichtige Regulierung schuf die Regierung eine Umgebung, die anfällig für opportunistische Ausnutzung war. Die politischen Institutionen, einschließlich der Gerichte und des Parlaments, waren anfangs nicht in der Lage, die lokale Bevölkerung vor den negativen Auswirkungen des Monopols zu schützen. Das geopolitische Problem lag demnach in der Fähigkeit externer Mächte, interne politische und institutionelle Lücken optimal auszunutzen, was die nationalen Entwicklungsziele konterkarierte.
Teil III: Der Teufelskreis der Abhängigkeit und der Weg nach vorn
Der politische Rückzug: Die Teillösung von 2019
Der anhaltende Widerstand der Bauern, die juristischen Auseinandersetzungen und die internen politischen Spannungen erzwangen schließlich eine Kehrtwende der Regierung. Ein Ad-hoc-Ausschuss des Parlaments, der die Zustände untersuchte, kam zu dem Schluss, dass die Vorschriften von 2018 Tausende von Basotho verarmt hatten, und forderte die sofortige Aufhebung der umstrittenen Gesetze.
Als Reaktion darauf führte die Regierung im November 2019 die Agricultural Marketing (Wool and Mohair Licensing) (Amendment) Regulations (No. 97 of 2019) ein, die die Beschränkungen lockerten. Diese Novelle war ein bedeutender Sieg der Zivilgesellschaft und der Bauern. Es wurden sechs zusätzliche Broker-Lizenzen erteilt, darunter die Wiederzulassung der südafrikanischen Firmen BKB und OVK. Landwirte erhielten die Erlaubnis, ihre Produkte wieder an Käufer ihrer Wahl in Lesotho und im Ausland zu verkaufen. Unmittelbar nach Inkrafttreten der Änderung konnten Lastwagen wieder Wolle beim SA-Broker BKB in Port Elizabeth abladen. Die Bauern hatten damit ihr primäres Ziel erreicht: die Wiederherstellung des Zugangs zu ihrem bevorzugten, etablierten internationalen Markt.
Trotz der Wiederherstellung des Wettbewerbs blieb der finanzielle Schaden jedoch bestehen. Hunderte von Landwirten sind weiterhin in Rechtsstreitigkeiten verwickelt, um die Millionen von Maloti an ausstehenden Zahlungen für ihre 2018/2019 an das LWC gelieferte Wolle und Mohair zu erhalten. Diese anhaltenden juristischen Kämpfe zeigen, dass die politischen Kosten des Monopols in Form unbezahlter Schulden in der nationalen Bilanz verbleiben und die Existenzgrundlagen der betroffenen Landwirte weiterhin belasten. Die Krise bestätigte die ökonomische Realität, dass Lesotho kurzfristig nicht in der Lage sein wird, vollständig unabhängig von der gut funktionierenden und integrierten südafrikanischen Marktinfrastruktur zu operieren.
Jenseits des Handelsstreits: Die strukturellen Herausforderungen der Wertschöpfungskette
Während die Kontroverse von 2018 das öffentliche und politische Bewusstsein dominierte, lenkte sie von den tiefer liegenden, strukturellen Problemen ab, die die langfristige Rentabilität des Sektors Lesothos bedrohen. Eine Fokussierung auf den Marktort (Lokalisierung) ohne gleichzeitige Verbesserung der Produktqualität war von Anfang an zum Scheitern verurteilt.
Die Wahrheit ist, dass die Produktivität der Schafe und Ziegen in Lesotho niedrig ist. Sie produzieren nur etwa 60 Prozent der Wolle und nur etwa 20 Prozent des Mohairs, die pro Tier in international führenden Produktionsländern erzielt werden. Die Gründe für diese geringe Leistung sind vielfältig und strukturell: Überweidung der Weideflächen, Mangelernährung der Tiere (insbesondere im Winter), schlechte Haltungspraktiken und unzureichende Krankheitsbekämpfungsmaßnahmen.
Das Kernproblem liegt in der mangelnden institutionellen und staatlichen Kapazität. Es besteht ein erheblicher Mangel an Personal und finanziellen Mitteln, um landwirtschaftliche Forschung und effektive ländliche Beratungsdienste (Extension Services) anzubieten, was die Landwirte mit veralteten Methoden zurücklässt. Auch die Erfassung umfassender Produktionsdaten ist mangelhaft, was eine effektive Überwachung und Politikgestaltung erschwert.
Um echte Wertschöpfung in Afrika zu erzielen, ist eine Verschiebung des Fokus vom wo (Verkaufsort) zum was (Qualität des Produkts) und wie (institutionelle Unterstützung) erforderlich. Wenn Lesotho international nur Rohfaser minderer Qualität anbieten kann, werden selbst die transparentesten Broker geringere Preise zahlen, und die Ziele der Lokalisierung bleiben unerreichbar. Die langfristige Souveränität und Rentabilität hängt von entschlossenen Investitionen in Agrarforschung, Züchtung und ländliche Infrastruktur ab, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.
In jüngster Zeit hat die Regierung auf diese Notwendigkeit reagiert. Im Jahr 2023 kündigte das Ministerium für Landwirtschaft, Ernährungssicherheit und Ernährung gezielte, strukturelle Maßnahmen an, darunter die Eröffnung des Sheep Start Centre im Quthing-Distrikt. Dieses Zentrum ist mit Maschinen ausgestattet, um den Samen von Zuchttieren für die künstliche Befruchtung zu lagern, was die Importe von Zuchttieren aus Südafrika reduzieren und die Qualität der Basotho-Herden verbessern soll. Diese Initiativen, ergänzt durch Partnerschaften mit Organisationen wie der ITC Ethical Fashion Initiative zur Stärkung der lokalen Kapazitäten in der Faserverarbeitung, Qualitätskontrolle und im Design, sind entscheidend, um die Faserqualität zu verbessern und auf den Weltmärkten höhere, wettbewerbsfähige Preise zu erzielen.
Die folgende Tabelle fasst die wichtigsten strukturellen Hemmnisse und die strategischen Antworten zusammen, die Lesotho seit der Krise von 2018/2019 erarbeitet hat:
Strukturelle Hemmnisse und strategische Antworten in Lesothos Wollindustrie
| Hemmnis | Details und Auswirkung | Strategische Antwort (Post-2019) | |
| Geringe Produktivität/Qualität | Tiere produzieren nur 20-60% des Outputs internationaler Standards; aufgrund von Mangelernährung und schlechter Züchtung. | Investition in Zuchtzentren (Sheep Start Centre); künstliche Besamung; private Spenden hochwertiger Zuchttiere zur Zuchtverbesserung. | |
| Institutionelle Schwäche | Mangel an Personal, Forschung und adäquaten Beratungsdiensten (Extension Services); unzureichende Erfassung von Produktionsdaten. | Forderung nach kohärenter Marketingstrategie; Stärkung der Entwicklungsinstitutionen (LNDC/BEDCO); Verbesserung der Regierungsdatenbank. | |
| Logistik und Transaktionskosten | Hohe Bürokratie und Kosten, die durch die verbleibende Lokalisierungspflicht (Brokering in Lesotho) auferlegt werden. | Teilweise Rücknahme der restriktivsten Auflagen; Wiederzulassung etablierter SA-Broker zur Reduktion der Handelskosten. | |
| Finanzielle Legacy-Probleme | Ausstehende Zahlungen (Millionen Maloti) an Bauern aus der Monopolzeit 2018/2019. | Fortlaufende Klagen der Bauern zur Erwirkung ausstehender Schulden; Notwendigkeit der staatlichen Intervention zur Bereinigung der Altlasten. |
Schlusswort: Der wahre Preis der Souveränität
Lesothos Wollkrise ist eine schmerzhafte und tiefgreifende Lektion über die Komplexität der wirtschaftlichen Emanzipation in Afrika. Der legitime Wunsch, sich von langjährigen regionalen Abhängigkeiten zu befreien, führte nicht zur nationalen Souveränität, sondern, bedingt durch politisches Missmanagement und Intransparenz, zu einer neuen und schädlichen Abhängigkeit von einem opportunistischen, externen Akteur.
Der Fall demonstriert, dass die größten Gefahren für die afrikanische Souveränität oft im Inneren liegen: im hastigen Governance-Versagen, der mangelnden Konsultation der betroffenen Bevölkerung und der Anfälligkeit der politischen Elite für Policy Capture. Externe Mächte wie China sind nicht notwendigerweise die primären Verursacher der Krise, sondern nutzen lediglich die vorhandenen politischen Ineffizienzen und das institutionelle Vakuum optimal aus. Die Krise in Lesotho befeuert daher zu Recht die Kritik an einer Form des chinesischen Engagements in Afrika, die sich durch Undurchsichtigkeit und die Bereitschaft auszeichnet, unfaire Monopole zu etablieren, anstatt fairen Handel und nachhaltige Entwicklung zu fördern.
Der politische Rückzug im Jahr 2019 war ein notwendiger Schritt zur Entschärfung der sozialen und wirtschaftlichen Krise. Die zukünftige Stabilität und der Wohlstand des Sektors hängen nun davon ab, die strukturellen Probleme – die geringe Faserqualität, das Fehlen von Forschung und die mangelnde institutionelle Unterstützung – entschlossen anzugehen. Echte afrikanische Souveränität im Rohstoffsektor manifestiert sich nicht in protektionistischen Gesetzen, die freie Marktwahl verbieten, sondern in der Fähigkeit, durch Investitionen in Humankapital und Technologie Produkte von Weltklasse-Qualität zu liefern. Solche Produkte, unterstützt durch transparente und gerechte nationale Institutionen, können auf dem Weltmarkt bestehen. Die Basotho-Bauern kämpfen weiterhin darum, dass die Regierung ihr Versprechen der nationalen Entwicklung einlöst und die unbezahlten Schulden aus der Monopol-Ära endlich begleicht. Nur wenn diese Altlasten beseitigt sind, kann Lesotho den verlorenen Faden seiner goldenen Wolle wieder aufnehmen und eine nachhaltigere Zukunft aufbauen.